Freitag, 23. März 2018

wienFotografie | Poetologie einer Räudigen Fotografie | Traces, Trassen, Bahnungen: Fotografie als Archäologie. Fotografie als Spur. Fotografie als Möglichkeit des Denkens


© Chris Zintzen. All Rights reserved


Fotografie als Abbild physischer Wirklichkeit, Fotografie als Repräsentation von Realität/Situation/Topografie/Räumlichkeit/Körperlichkeit, Fotografie als Darstellung des So-Seins: Die Konjunktur artifizieller Renderings und digitaler Nach- bzw. Protoschöpfungen, die Instagramatologisierung der visuellen Welt zum unendlichen Strom einer Wisch- und Scrollübersprungshandlung und -handhabe (Welt-Bild als monströse Konjektur einer displayhaft vermittelten Touch- und Tapp-Illusion jenseits differenzierter Haptik) hat den fotografischen als poetischen, als sinnstiftenden und als aufgeladenen Moment längst überwuchert. 

Die zugemutete Privatheit durch die ununterbrochenen Selbstdokumentation (all things you really don’t want to know) folgt tief internalisierten Regeln von Werbeästhetik bis hin zur buchstäblichen Ein-Schreibung (tagging) von Marken und Labels ins eigene Instagram-Konterfei: Wenn die Haare nur mehr „Syoss“ sind und die Attribute gerade noch Hashtags - Hashtags als Appelle und Schreie an die Welt, das Individuum in einen Schlagwort-Sinnzusammenhang zu integrieren -, kann die existenzielle Isoliertheit des Individuums in „vernetzten Zeitalter“ besonders gut beobachtet werden. 

Die aktuelle Weichzeichner-Ästhetik der fotografischen und protofotografischen Repräsentanz hardly smoothes the edges, kaschiert nur mühsam die Brutalität einer Kommunikation, die sich kaum mehr zum Syntagma eines grammatikalisch korrekten Satzes durchzuringen vermag, geschweige denn zu einem SEO-unfreundlichen, SEM-adversen komplexen Satzgefüge von Haupt- und Nebensatz. 

Wo der Snapshot an die Stelle des Arguments getreten ist - Beweismittelvorlage in yo’ face -, der einst als wohlerzogen und höflich gegolten habende Konjunktiv als Display-widrig und Readability-mindernd disqualifiziert ist, ist das Nachdenken über Möglichkeiten in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft außer Kredit geraten. 

© Chris Zintzen. All Rights reserved

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Ich setze dem meine fotografische Archäologie entgegen als Kollektion von Spuren, als Ortung von Leerstellen, als Raum der konjunktivischen Reflexion dessen, was sein mag und was gewesen sein mag. So, wie die archäologische Situation - im Moment der Auffindung ebenso wie im Prozess der Grabung - wenig proper ist, waren, sind und bleiben meine Fotografien "schmutzig", rau, bisweilen unscharf, ästhetisch anstößig, räudig, wenig dekorativ. 

Die Pracht der Vollrekonstruktion im repräsentativen Museum empfinde ich als tot und als dem Aneignungs- und Machtparadigma angehörig. Mich reizt die Skizze, mich reizt das Fragment, mich reizt der offene Zustand vorgefundener und dargestellter Szenarien: Die Spurensuche entspricht und entspringt meinem unbändigen Willen zu(m) Wissen.

Spur, Bruchlinie, Fragment, Leerstelle: Ein Wahrnehmungs-, ein Möglichkeits- und ein Gedankenraum, in welchem ich mich und meine Fotografie beheimate. Nicht wenige Leute sagen, meine Fotografie sei im Grunde dies: "Text“.

© Chris Zintzen. All Rights reserved



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Triester Straße 85 
1100 Wien
errichtet: 1929-1932
Wohnungen: 151
Architekten: Robert Hartinger, Silvio Mohr

Aufnahmen: 20.10.2002

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