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Montag, 2. März 2020

Notizen zum Utopischen 5 | Das ewige Projekt und der unendliche Text





Planung, also engineering, bedingt stets kulturelle Praxen, muss sich also gewärtigen, stets ein social engineering zu sein. Der Faktor Mensch ist allerdings nicht planbar. Kein Szenario ist perfekt. Im Unterschied zum Projekt hat der konkrete Bau den handfesten Nachteil, real zu sein. Als Gebautes - Konstrukt im eigentlichen Sinne - ist es naturgemäß wenig anpassungsfähig und kaum flexibel.


Die beste Planung wird immer die nicht abgeschlossene sein, die, die auf dem Konzeptpapier und dort mit einfachen Mitteln für neue Situationen adaptierbar bleibt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die reale - also die realisierte -  “ideale Stadt” stets etwas Totales und Totalitäres haben muss, denn sie muss per Ordnung, Verordnung und durch Hüter dieser Ordnung den rechten Gebrauch der geschaffenen Struktur gewährleisten. Das Ideal pflegt keine Ausreißer zu dulden und ist gnadenlos gegenüber Renegaten!


Als Musil'scher Möglichkeitsraum fungiert das Planspiel wie ein Traumfänger: Es agglutiniert Möglichkeiten und Varianten und mag sich in ein unermessliches Reich des Fakultativen erweitern. Hier wohnen die Wonnen der Alleinherrschaft des Planers, des Künstlers, des Träumers und des Phantasten. Das ewige Projekt wird zur Heimat und zum Zwischenstromland der Potenzialität: Alles bleibt möglich, alles bleibt in flimmernder Unentscheidbarkeit und mit jedem neuen Tag zieht die Chance zu reiner weiteren Perfektionierung herauf: Der unendliche Text als Quellgebiet des Lebens ist eine Utopie sui generis

Dem steht aber das Leben gegenüber und die Tatsache, dass erst beruhigt werden kann, was entschieden ist, was konkretisiert worden ist und - wenn man so will - geboren worden ist. Wer schöpft und wer schafft, ist dann auch froh, wenn das Geisteskind "an die Welt entlassen" werden kann und dort sein Eigenleben beginnt. 


Wir lernen, mit seinen (und unseren) Fehlern zu leben. Nur so können wir weiterziehen und uns anderen Dingen, neuen Erfahrungen zuwenden. - Dahingegen binden uns das ewige Projekt und bindet uns der unendliche Text an einen im Übermaß beackerten Boden und an die Fruchtlosigkeit zurück. 








02.03.2020





Sonntag, 23. Februar 2020

Notizen zum Utopischen 4 | Gegenlektüren







Das gebaute Jetzt realisiert eine in der Vergangenheit entworfene Projektion. Auf paradoxe Weise begräbt die Gegenwart die Projektion, denn in der Realisierung wird naturgemäß der utopische Kern des Entwurfs stillgestellt. Projekte und Utopien haben die Charakteristik, dass sie mit dem Augenblick ihrer Realisierung dem Prozess des Alterns und des Veraltens ausgesetzt sind. Oder, wie Freud ein klassisches Dilemma der Archäologie charakterisierte: Pompeji verfällt erst, seit es ausgegraben worden ist. Was im Schutz der Erde jahrhundertelang erhalten blieb, ist seit seiner Freilegung der Witterung, der mechnischen Korrosion (und dem Diebstahl) ausgesetzt. 


Ein Ähnliches gilt für kühne Stadtentwürfe und urbane Projekte: Wasser, Wind, Wetter, Vögel, Feinstaub, Pflanzen, Flechten setzen dem neuen Artefakt bereits mit Baubeginn zu und wohl dem Bauherrn, der Solches in seine Planungen mit einbezieht!

Zu rechnen ist allerdings am deutlichsten mit dem Faktor Mensch und dessen Gabe, sich jeder gegebenen Struktur für eigene Zwecke und nach eigenen Regeln zu bemächtigen. Es handelt sich dabei um jenes anarchische Potential, mit welchem sich alle möglichen Benutzergruppen alle möglichen Räume gegen den Willen von Planern, Architekten und Magistraten aneignen, indem sie sich die gebaute Welt unter Zuhilfenahme von Skateboards, Hunden, Graffiti, Einkaufswagen, Street-Workouts, Müll mit ihrer mit ihrer Condition Humana imprägnieren. 

Mir gefällt diese Ordnungswidrigkeit als Form der Gegenlektüre (John Fiske) und als temporäre Appropriation: Sie erweist offensichtlich den ständigen Kampf um Deutungen und Territorien im urbanen Raum und: Die Vielfalt der in diesem Territorialkampf involvierten Interessen und Gruppen, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, nicht als Eigentümer über das Gelände verfügen zu können. (Sennett: Die offene Stadt).

Aber mir gefällt auch die Anarchie des Heimeligen und des Geschmacklosen, welche noch den grandiosesten Architektenentwurf nach Einzug der ersten Bewohner zu überwuchern beginnt. Saubere Architekturfotos, propere und durch ideale Menschenfiguren möblierte Renderings lassen mich an die Dystopie der Cabrini Greens-Sozialbauten in Chicago denken. Der dortige hohe Gewaltquotient gab zu Studien Anlass, die erweisen, dass mit jedem zusätzlichen Baum und mit jeder neuen Grünfläche die Anzahl der Gewaltverbrechen sinkt. 

Zaha Hadids ikonische Wohnbauten am Donaukanal bleiben leer, da von dort aus Supermärkte fussläufig nicht zu erreichen sind. Dahingegen haben die charakteristisch schrägen Pylone sich als architektonisch kontagiös erwiesen: Sie wurden von der Schiffsstation am Schwedenplatz zitiert und von einem Wohnhaus an der Oberen Donaustraße. 














23.02.2020

Freitag, 21. Februar 2020

Notizen zum Utopischen 3 | Wo ist der Entwurf?







Man könnte dies in wenigen Sätzen skizzieren. Man könnte aber auch eine Geschichte bisheriger (städtebaulicher) Utopien schreiben. Letzteres ist oft geschehen und wäre für unseren Kontext womöglich ein paar Nummern zu groß bzw. würde von dem, woran wir denken und arbeiten, fortführen.

Indem ich dies hier formuliere, wird mir deutlicher, dass ich noch einen dritten Pol benötige, um das, was ich insgeheim intendiere, zu konturieren. Nämlich das "Ideal". Erst mit dem Ideal haben wir die Möglichkeit, Utopien und Visionen als zentral gelenkt und - wie wir aus der Geschichte wissen - als tendenziell totalitär zu erkennen. Mit dem Ideal können wir deutlicher humanistische, künstlerische und gesellschaftspolitische Glückenserwartungen thematisieren.

Und wir können erkennen, wie wenig unsere aktuelle Gesellschaft (noch) an Idealen hängt, bzw., wie sehr diese Ideale im Konsum, in kapitalistischer Selbstoptimierung bzw. in Illusionen und Ideologien verhaftet sind. Wohingegen die Krise der alten Parteien wie der Sozialdemokratie ja auch von einem Verlust der Ideale / des Idealen kündet. Am Wort scheinen die Neinsager zu sein. Fridays for Future wiederholt heute spontan Vieles von dem, was die Grünen Mitte der 80er Jahre sagten. Fridays for Future sagt Nein. Und hat damit Erfolg.

Wo ist der Entwurf?













21.02.2020

Donnerstag, 20. Februar 2020

Notizen zum Utopischen 2 | Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral







Oder doch? - In Heinrich Bölls “Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ trifft ein Tourist auf einen friedlich in der Sonne dösenden Fischer. Mit missionarischer Inbrunst entwickelt der Tourist einen veritablen Business-Plan für den Fischer: Wenn er - statt in der Sonne zu dösen - mehrmals pro Tag ausfahre und folglich größere Erträge erwirtschafte, könne er mehrere Boote anschaffen, andere Fischer einstellen und wäre dann in der Lage, seine Tage in Muße zu genießen. - Dies sei ja bereits der Fall, entgegnet der Fischer und setzte sein Schläfchen in der Nachmittagssonne fort.

Heinrich Bölls Provokation der “Schaffe-Schaffe, Häusle baue”-Mentalität der Wirtschaftswunderzeit (der Text entstand zum “Tag der Arbeit” 1963) taucht heute ebenso in Motivations-Seminaren (Wie kann ich meine Mitarbeiter motivieren?) auf wie in Karriere-Bibeln (Halten Sie es nicht wie der Fischer: Geben Sie sich nicht zufrieden!) oder in Achtsamkeits-Ratgebern (Leben Sie im Hier und Jetzt!) und zeigt damit, dass es nur der geeigneten Rhetorik bedarf, um jedes Argument wirkungsvoll in sein Gegenteil zu verkehren bzw., wie gemütlich es sich im Raum des logischen Zirkelschlusses verharren lässt. 












20.02.2020










Mittwoch, 19. Februar 2020

Notizen zum Utopischen 1 | Die "Vision"



Habe derweil in den Begrifflichkeiten von "Vision" und "Utopie" herum geschnobert. 

Realiter ist "Vision" mittlerweile eine definierte Vokabel im Kontext der Wirtschaftsstrategie und nachfolgend auch im Marketing. Sie soll - wie auch die Utopie - identitäts- und handlungsbestimmend auf die MitarbeiterInnen auf allen Ebenen wirken. Wie die Utopie wird sie den Menschen von der Zentrale aus diktiert, was bedeutet, dass weder Utopie noch Vision auf demokratischen Prozessen beruhen. Erst per Erreichung des Zieles wird Benefit auch für die unteren Ebenen generiert (so jedenfalls das Versprechen). 

Bis dahin herrschen die berühmten "Mühen der Ebene".


























19.02.2020