Posts mit dem Label Konsum werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Konsum werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 9. Mai 2018

Zadig | Tsadik oder Nonsense in Branding und PR

© Chris Zintzen All Rights reserved


Es hasten vorbei die vielen orthodoxen Juden unseres Quartiers (Vienna's Williamsburg) an dieser Manifestation maximaler Sinnentwendung durch die Marketing-, Branding- und Werbewirtschaft. Es muss schon ein rechter Tzadik sein - ein über das Geforderte hinaus observanter Gerechter -, der sich weder an dieser Affiche noch über selbige aufhielte. 

Der Titel von Voltaires philosophischer Erzählung "Zadig ou la destinée" aus dem Jahr 1747, welche vom Schicksal eines zum Guten Strebenden in einer dafür wenig geeigneten Echtwelt in orientalischem Dekorum berichtet, wird hier in der Schwundstufe eines fernen Bildungsnachhalls vom Prozess einer vollständigen Neucodierung als Name für ein Modelabel erfasst:

"Zadig & Voltaire: ein Pariser Modehaus mit Rock-Attitude und casual Chic. Das Konzept: Eine neue Version von Luxus. Lässiger Luxus – ein Mix aus hochwertigen Materialien wie Kaschmir, Leder, Seide – wird mit coolen, alltagstauglichen Schnitten kombiniert. Doch Zadig & Voltaire ist viel mehr als nur eine Modemarke – es ist eine Lebensart. Die Marke hat Rock im Blut. Die Kunst ist ihre inspirative Quelle. Paris lebt als Kultstadt in ihrem Herzen. Zadig & Voltaire is a state of mind."*


(*Regieanweisung: 
Vortrag in großer Pose
durch Burgschauspieler
resp. Heldentenor)

|||


Und stimmt: Das Modegirl, das den Schriftzug quer über dem Busen trägt oder als Imprint auf einer vermeintlich lässig über die Schulter geworfenen Softbag, hat weder je etwas von François-Marie Arouet Voltaire (1694 bis 1778) vernommen noch von dem (jüdischen) Archétypus des Tzadik. Morgen trägt sie auf ihrer Brust ein Turkish-Fake Dolce&Gabbana-Logo spazieren, unter dem sie sich die Geburtsdaten und Namen ihrer Kinder in die Haut tätowieren liess. 

Als der Musiker John Zorn den Namen Tzadik für sein Plattenlabel (*1995) erkor, war - und blieb - ihm dieser titelgebende "Gerechte" Ansporn und Verpflichtung zu strikter Observanz im Zeichen der Avantgarde. 

|||

Tzadik: Des mag bedeuten, sich einer Sache verpflichten, die größer ist als man selbst. Das mag bedeuten: Einem Leitsatz folgen. Und dies insbesondere, wenn diese Prinzipientreue, wenn diese Konsequenz dazu angetan ist, in der Echtwelt weder Ruhm noch Geld noch persönliche Vorteile zu generieren. 

Die "Ich-bin-so-wild-nach-deinem-Erdbeermund"-Imagines mit ihrer unübersehbaren autoerotischen Note (Dramaturgie der Hände) spricht eine andere Sprache. Eine Sprache indes, die geradezu erheiternd selbstdecouvrierend ist.





|||