Sag nicht "Unke", wenn du "Reiher" meinst. – Auf dem Wege der verdeckten Ermittlung kommst du immer ans Ziel, da auch das Ziel in der Suchbewegung und im Ereignis des Findens liegt. Es gibt kein anderes Ziel als das, beim Vorgang des Suchens zu lernen. –
Wozu aber Lernen, wenn nicht für ein weiteres, dahinter liegendes Ziel? Für einen Horizont, der sich hinter dem aktuellen Horizont offenbart? – Das Versprechen der in die Unendlichkeit des atmosphärischen Dunstes gestaffelten Horizonte, wie sie das (christliche) Darstellungsformat der "Arkadischen Landschaft" suggeriert, ist zu prüfen. Die Gewissheit von der Beseeltheit der Welt wird auch von der Romantik eines Novalis als im Fortschreiten zu er-findendes "Neuland" in den Horizont projiziert: Dieser Horizont ist – wie in der Renaissance – diffus und fließend, als könne nur diese besondere Offenheit den Überschwang des beseelten Zustandes fassen.
Die Konkretion des Hier und Jetzt, die vermeintliche Banalität des Gegenständlichen, das auf den ersten Blick als "bekannt" und "oft gesehen" anmuten mag, will uns zunächst der Illusion des "Surplus" berauben, da wir nur wiedererkennen, statt zu sehen. Die zeichnerische Arbeit "nach der Natur" bedeutet, den zu erfassenden Gegenstand zu studieren und sich ein Stück weit in diesen Gegenstand zu verwandeln, um ihn sozusagen von innen heraus, in seiner physikalisch bedingten Materialität, zu begreifen und zu gestalten.
Ich erinnere mich an das Scheitern am zeichnerischen Studium einer Zwiebel, die auf besondere Art kein materieller Festkörper (etwa in Form einer Kugel), sondern eine zu körperlicher Festigkeit verdichtete Schichtung von hauchdünnen Membranen ist. Wie Peer Gynt arbeite ich mich an den formgewordenen Häuten ab und verliere dabei das Wesen der Zwiebel, das ich erfassen wollte.
Vielleicht verhält es sich mit den hintereinander gestaffelten Horizonten ähnlich wie mit den übereinander liegenden Häuten der Zwiebel: Wir gehen von einem zum nächsten und hoffen, hinter der nächsten Horizontlinie oder unter der nächsten Haut befinde sich das "Wesentliche".
Nie sind wir da, wo wir gerade sind, alles ist vorläufig. –
Vielleicht bedarf es der Abkehr von dieser Perspektive, die nichts anderes als eine säkulare Variante des christlichen Heilsversprechens ist, um an jenen Punkt zu kommen, von welchem Pema Chödron in großer Radikalität spricht: an einen Punkt jenseits von Furcht und Hoffnung.
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Seit sechs Jahren steigen wir den Reihern nach. Sie finden sich nie, wenn wir absichtlich auf sie aus sind. So haben wir viele neue Bekanntschaften gemacht: Vorige Woche waren es die Elstern, die Schwanzmeisen und die Bachstelzen. Zuvor die Stare und die Falken. Die Wildgänse wurden dies Jahr verpasst, dafür haben wir die Zonen der Nachtigallen entdeckt und – heute – sogar erstmals einen dieser unscheinbaren Vögel im dichten Gestrüpp beobachten können.
Die alte Dame, Spaziergängerin am Arm ihrer Tochter, übt sich im Pfeifen, gibt aber klein bei, als ihr die verborgene Nachtigall mit einem imitierten Kuckucksruf antwortet (Cuculiformes).
Auf dem Weg zu den Gelbbauchunken kommt mir der Reiher in die Quere: Offenbar haben wir das gleiche Ziel. Da sich Menschenlärm nähert, sind wir sämtlich fort: die Unken wieder unter den Seerosenblättern, der Reiher ins nächste Jagdquartier und auch ich – vielleicht ist auf der Wiese im Norden doch wieder ein Segelfalter anzutreffen?
Wien, den 2. Mai 2022. Das Notieren zu unterlassen, ist keine Lösung.