Barbara Köhler bei der Produktion ihres Hörstücks „Echos Quelle“ im ORF-Studio. Ursendung: 11.07.2006, „Literatur als Radiokunst“ im ORF „Kunstradio“. Foto @ Zintzen 2006, abgedruckt in Andreas Erb, Christof Hamann (Hg.): «‹Was warten ist›»: Garten der Wörter — ein Florilegium für Barbara Köhler«. die horen 286 (2022).
Rede in Osmose
[...] Diese Rezension der Edition einer Anthologie von Texten einer wertgeschätzten Autorin kann nicht der Ort einer angemessenen postumen Würdigung sein. Gleichwohl sei daran erinnert, mit welcher Virtuosität Barbara Köhler die Rede in Osmose mit verschiedensten Sprachen und Idiomen versetzte. Solcherart sprengte sie unerwartete, unerhörte und flimmernde Sinnebenen frei, ohne diese freilich mit dem Zement einer vorgefassten «Botschaft» abbinden zu wollen.
In mannigfaltigen Explorationen unterzog sie jedwedes Schreiben und Sagen einer angewandten Materialprüfung, deren prozedurale Iterationen für Lesende und Hörende überraschende und erhellende Erkenntnisse zeitigten. Was die Dichterin Anja Utler in ihrem Nachruf zutreffend als «Levitationen» bezeichnet hat, ankert wohl insbesondere in Barbara Köhlers immenser poetischer Potenz, Sprach- und Dichtkunst auf die Stufe des Reflexiven, Relationalen und Rekursiven zu heben.
Ich habe das Sagen nicht. Ich lasse es
mir gesagt sein mir gefallen Wendungen
die verwandeln [...] (Entpuppung)
Für Lesende und Hörende öffnen Köhlers rhythmisch und melodisch akzentuierten Texte einerseits einen hinreißenden ästhetischen Genuss. Zugleich erzeugen die unmittelbar in die Sprach-, Form- und Lautgebung eingewirkten Polysemien, Umspringbilder und Kippmomente ein hoch aufgeladenes elektrisches Feld kompossibler Semantiken, deren Valenzen die — zumeist auf kürzere Textformen bedachte — Künstlerin sorgfältig in Schwebe zu halten verstand.
Barbara Köhlers Œuvre bringt Literatur und Metaliteratur (als angewandte Reflexion der literarischen Praxis) ebenso zur Deckung wie Sprache und Metasprache im Sinne einer poetisch realisierten Sprachreflexion und -kritik.
Erkenntnismomente
Dieses Werk beläuft sich in keinem papierenen ästhetischen Selbstzweck, sondern es äußert sich jener universale Witz, der sich — ob still schmunzelnd oder in homerischem Gelächter — von Erkenntnismoment zu Erkenntnismoment voranjubelt: Barbara Köhlers Esprit stiftet Begeisterung, und zwar genau dort, wo die Einsicht in die Mediokrität (und Korrumpierbarkeit) der Medien am größten ist.
Ob Sprache oder Grammatik, Schreibmaschine oder Internet, ob die window-gleichen Darstellungsmetaphern am PC oder die Glasfronten von Galerieräumen: Das Gemacht-Sein (Heideggers entfremdeter «Gegenstand») all dieser Instrumentarien, Medien oder gar Prothesen wird aktiv und geistreich reflektiert. Es sind jene im Band Blue Box benannten «triste[n] Kiste[n]» der medialen Materialität, die Barbara Köhler geistesgegenwärtig durch die Filter von Poesie, Philosophie und Witz zu gebrauchen und gleichzeitig zu überwinden verstand. [...]
Triste Kiste: Ein verlegerischer Schnellschuss redet Werk und Leben der Schriftstellerin Barbara Köhler klein. Wespennest 189 (November 2025), S. 100–102. (Link zum Inhaltsverzeichnis | Link zur Zeitschrift)
