Montag, 17. August 2020

Walter Baier: Eine Wissenschaft vom gesellschaftlichen Menschen.

Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Verdinglichung“, Mag3, Wien, 28.07.2020

Verdinglichung. Ausstellung Chris Zintzen, Gue Schmidt, Fritz Fro @ Mag3, Wien, Juli/August 2020


Danke für Ihre Einladung!
Ich bin kein Kulturwissenschaftler oder Kunsttheoretiker, und will auch nicht als solcher dilettieren, sondern ich bin Ökonom. Ich weiß nicht, ob Sie mich gerade deswegen zu dieser Ausstellungseröffnung eingeladen haben, aber ich habe die Einladung vor allem deswegen angenommen. Wir befinden uns möglicher Weise am Beginn einer weltweiten ökonomischen Krise und ich ergreife daher gern die Gelegenheit, über Fragen der Ökonomie, das heißt, die Ökonomisierung unseres Alltags und unserer Persönlichkeiten zu reden. Exakt dies aber ist die Frage der Verdinglichung.

Der Begriff der Verdinglichung stammt von dem ungarischen Philosophen Georg/György Lukács, der 2016 dadurch geehrt wurde, dass das Archiv seiner Werke und Manuskripte durch das semifaschistische Orbàn-Regime geschlossen wurde. Ähnliche postume Ehrung wurde übrigens 2018 auch Rosa Luxemburg zuteil, deren Gedenktafel von ihrem Geburtshaus in Zamosc durch die polnischen Behörden entfernt wurde.

Zu Georg Lukàcs
„Selig sind die Zeiten, für die der Sternenhimmel die Landkarte der gangbaren und zu gehenden Wege ist und deren Wege das Licht der Sterne erhellt.“, so beginn er seine 1916 publizierte Theorie des Romans.

Der Verlust der unmittelbaren Lesbarkeit der Existenz, das heißt das Auseinanderfallen von Wesen und Leben für den modernen bürgerlichen Menschen, beklagt der unter dem Einfluss seines Lehrers Georg Simmel und der Lebensphilosophie stehende Lukács. Dies bildet den Ausgangspunkt seiner Romantheorie, vielleicht seines gesamten Schaffens.
Ich spreche heute vor allem über den in Geschichte und Klassenbewusstsein veröffentlichten Essay Die Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats. Sieben Jahren waren seit der Veröffentlichung der Theorie des Romans vergangen; der Erste Weltkrieg hatte 15 Millionen Tote gefordert, den Zusammenbruch die alte europäische Staatenordnung bestand nicht mehr, und in Russland hatten zwei Revolutionen stattgefunden, die die Bolschewiki an die Macht brachten. Lukács war Mitglied der Kommunistischen Partei Ungarns und hatte auch der kurzzeitigen ungarischen Räteregierung angehört. Alles dies spiegelt sich in dem Buch wieder, dessen Hauptstück der Verdinglichungsessay bildet.

Der Inhalt des Texts besteht vor allem in seiner peniblen Rekonstruktion der Marx‘ Werttheorie, und hier des 4. Abschnitts des ersten Kapitels Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheiminis. Tatsächlich bildet dies auch den philosophischen und methodologischen Kern des Kapital.

"Wirtschaft"
Worin besteht seine umwälzende Bedeutung für die Sozial- und Kulturwissenschaften?
Suchen Sie die Begriffsdefinition für das Wort Wirtschaft in Wikipedia, finden Sie, dass Wirtschaft die Gesamtheit aller Einrichtungen und Handlungen darstelle, die der planvollen Befriedigung der Bedürfnisse dienen. Selbiges in jedem beliebigen Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaften: Hier wird Wirtschaft zumeist als der Umgang mit knappen Gütern definiert.

Lassen Sie sich nicht von dem gewaltigen Apparat mathematischer und statistischer Methoden irritieren, die auf dieser Definition aufbauen. Ihr Kern besteht darin: Wirtschaft wird uns als die Beziehung des einzelnen Menschen zu den Dingen, die er für sein Leben benötigt, und zu den technischen Hilfsmitteln, die er zu ihrer Beschaffung/Produktion in Gang setzt, vorgestellt. Ökonomie ist die Wissenschaft von der rationellen Beschaffung der überlebenswichtigen Gebrauchswerte. Eine Technik, wenn Sie so wollen.

Marx: Arbeitsteilung, Tauschhandel
Marx bestätigt einerseits diesen Gedanken, erkennt in der Produktion von Gebrauchswerten eine Voraussetzung gesellschaftlichen Lebens, fragt aber: Was geht in einer Gesellschaft vor, deren Arbeitsteilung durch Tauschhandel vermittelt ist? Hier produzieren Menschen nicht, um den eigenen Bedarf zu decken, oder um mit anderen zu teilen, sondern befriedigen ihre Bedürfnisse, indem sie für die Befriedigung der Bedürfnisse anderer produzieren und ihr Produkt gegen andere Ware oder Geld auf dem Markt tauschen.
Um austauschbar zu sein, müssen die unterschiedlichen Güter, mit ihren spezifischen Nützlichkeiten/Gebrauchswerten auch Träger eines Gemeinsamen sein. Als diese gemeinsame Substanz aller Güter erkennt Marx, dass sie Mengen gesellschaftlicher, der Form nach individuell geleisteter Arbeit enthalten, die sich durch den Tausch als Beitrag zur Gesellschaft erweisen.
Den Tauschenden erscheint das zwischen ihnen bestehende gesellschaftliche Band als über die Dinge, die sie tauschen, vermittelt, so Marx‘ These, die aus einer Wirtschaftswissenschaft, die sich mit Sachen beschäftigt, eine Wissenschaft macht, die die sozialen Verhältnisse untersucht, die die Menschen bei der Produktion ihrer Bedarfsgüter eingehen: Eine Wissenschaft vom gesellschaftlichen Menschen. Marx bezeichnet dieses In-den-Dingen-Erscheinen der menschlichen Beziehungen als Warenfetischismus und Lukács als Verdinglichung. Verdinglichen ist ein transitives Verb: Wer oder was wird verdinglicht?

Warenfetischismus und Verdinglichung/Entfremdung
Wie Marx im Kapital schreibt: „Das Geheimnisvolle der Warenproduktion besteht also einfach darin, dass sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes Verhältnis von Gegenständen.“ (Marx: Kapital, Bd. 1, S. 86)

Die hohe Wertschätzung, der sich Lukács‘ Essay erfreut, verdankt sich der Sensibilität, mit der er über die Folgen, die diese Konstellation für die Subjekte hat, nachdenkt:
„So wie das kapitalistische System sich ökonomisch fortwährend auf höherer Stufenleiter produziert und reproduziert, so senkt sich im Laufe der Entwicklung des Kapitalismus die Verdinglichungsstruktur immer tiefer, schicksalhafter und konstitutiver in das Bewusstsein der Menschen,“ schreibt er (Lukács: Geschichte und Klassenbewusstsein, S.104).

So erweist sich aufgrund der „scheinbar restlosen. zutiefst in das Physische und Psychische hineinreichenden Rationalisierung der Welt der Warenfetischismus als ein spezifisches Problem unserer Epoche“ (Lukács: Geschichte und Klassenbewusstsein). Womit wir auch an die in der Theorie des Romans aufgeworfenen Problematik anknüpfen können.

Es liegt mir fern, die Bedeutung von Lukács-Verdinglichungsessay zu relativieren. Erwähnt muss aber werden, dass sich sein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der zeitgenössischen marxistischen Literatur auch einem speziellen Umstand der Veröffentlichungsgeschichte des Werks von Karl Marx verdankt: Erst 1932, sechs Jahre nach Geschichte und Klassenbewusstsein erschienen in Moskau die auch als Pariser Manuskripte bekannten Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte von 1844, veröffentlicht und herausgegeben vom Marx-Engels-Institut, dessen Leiter David Borissowitsch Rjasanow gemaßregelt und 1938 als Volksfeind zum Tode verurteilt wurde. 1939 bis 1941 erschienen schließlich die Grundrisse der Politischen Ökonomie.

Von beiden Werken ging ein mächtiger Impuls für die Erneuerung des Marxismus auf undogmatischer Grundlage aus. Vielfach nimmt der junge Marx in diesen so spät veröffentlichten Werken von Lukács entwickelte Thesen vorweg:
„An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist daher die einfache Entfremdung aller dieser Sinne, der Sinn des Habens getreten“. (Marx: Pariser Manuskripte,  S.80).

Wir finden auch darüber Hinausgehendes: Während bei Lukács die Verdinglichung im Sinnes eines für die bürgerliche Epoche charakteristischen Zustandes vorgestellt wird, beschreibt bereits der junge Marx in den Pariser Manuskripten, mit dem (dem Hegel’schen Vokabular entlehnten) Begriff der Entfremdung eine Dynamik, die sich aus Kauf und Verkauf der speziellen Ware „Arbeitskraft“ gegen Arbeitslohn ergibt, und deren Substrat der Mehrwert und dessen Akkumulation auf der Seite der Kapitalbesitzer bildet.
„Der Arbeiter wird eine umso wohlfeilere Ware, je mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu. Die Arbeit produziert nicht nur Waren; sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware.“ (Marx: Pariser Manuskripte, S.52).
[...]

Weltdokumentenerbe | Weltmarkt
Sie werden Sich jetzt vielleicht denken, das ist wohl Weltliteratur. Und tatsächlich wurde ja das Kommunistische Manifest und das Kapital 2013 von der UNESCO als Teil des Weltdokumentenerbes anerkannt. Was aber haben wir davon, zu wissen, dass die bürgerliche, also die herrschende Ökonomie die Bewegung von Sachen beschreibt, unter deren Herrschaft die Menschen stehen, während es bei Marx um die gesellschaftlichen Verhältnisse geht, die die Menschen eingehen, und die sie an einer Emanzipation hindern. – Als Antwort möchte ich eine Empfehlung aussprechen: Wann immer Sie in der Zeitung Begriffe lesen wie „Aktienkurs“, „Investitionen“, „Geldmenge“ „Staatsschulden“, „Quantitative Easing“ etc., seien Sie sich der Tatsache bewusst, dass diese Aggregate Ihr tägliches Leben beherrschen, und zwar in einem Ausmaß, über das Sie  sich nur selten Rechenschaft ablegen. Bedenken Sie darüber hinaus folgendes Zitat von Karl Marx:
„Ihre eigene gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie selbst zu kontrollieren.“ (Marx: Das Kapital, Bd. 1., S.89)

Bedenken Sie, wenn Sie Wirtschaftsfachleuten zuhören, dass der heutige Kapitalismus ein weltumspannendes System geworden ist und zwar in einem Ausmaß, das weder für Marx noch für Lukács vorstellbar war.

Letztes Jahr wurden an den weltweiten Devisenbörsen pro Tag 6.590 Milliarden USD umgesetzt, hier schließen sich an die Zahl 6.590 neun Nullen an, und ich bin froh, dass diese Zahl pro Tag angegeben wird, da sie – mit 365 multipliziert – nur schwer zu artikulieren wäre.
Breaking News: Vergangenen Freitag vermehrte sich Jeff Bezos‘ Vermögen durch Bewegung an den Börsen um 12 Milliarden USD.
Denken Sie an die Gewalt und die Tragödien, die in dieser Bewegung von Sach- und Geldwerten inbegriffen sind: Umweltzerstörung, Land Grabbing, Vernichtung der Tropenwälder, Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte, Drogenhandel, Versklavung von weltweit über 40 Millionen Menschen und vieles Andere.

Wo aber bleibt das Optimistische?
Es besteht darin, dass es soziale Beziehungen sind, die hinter der Bewegung der Sachen erscheinen. Beziehungen, die für Veränderung offen sind. Das heißt, es geht darum, diese Beziehungen aus ihrer Verdinglichung herauszulösen, umzuwandeln, also in humane, bewusst gesteuerte und demokratisch geregelte, menschliche Beziehungen zurück zu drehen.
Die heutigen weltweiten Krisen lassen das immer mehr zum unabweislichen Imperativ des Überlebens werden.
Wie das gehen kann? Dies wäre wohl das Thema für Ihre nächste Ausstellung!

Literatur
  • Georg Lukács: Theorie des Romans Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. Berlin 1963.
  • Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über die marxistische Dialektik, Malik Verlag, Berlin 1923.
  • Karl Marx: Das Kapital Bd.1. Marx-Engels-Werke (MEW) Dietz Verlag Berlin 1974
  • Karl Marx: Ökonomisch-Philosophische Manuskripte, Pariser Manuskripte 1844. In: Texte zur Methode und Praxis, Rowohlt, 1966.


Walter Baier
Jg. 1954, Wirtschaftswissenschafter, bis 2006 Vorsitzender der KPÖ und Herausgeber der Volksstimme, Gründungsmitglied der Europäischen Linken, seit 2006 Koordinator des europäischen Forschungs- und Bildungsnetzwerks „transform! europe – network for alternative thinking and political dialogue“.



Donnerstag, 6. August 2020

Disequilibrium/Noise



Disequilibrium/Noise © Chris Zintzen @ panAm productions 2020













Die Absicht war Ordnung. Herausgekommen ist Lärm. 





Mittwoch, 5. August 2020

Dienstag, 4. August 2020

Sonntag, 2. August 2020

Firefly / Nach einem Haiku von Ryôta


Firefly / Nach einem Haiku von Ryôta © Chris Zintzen @ panAm productions 2020







Das Glühwürmchen
gejagt, flüchtet sich
in den Mond.

Ôshima Ryôta (1718-1787)






Illustration: 02.08.2020







Freitag, 31. Juli 2020

Patio/Cloister



Kreuzgang Stift Heiligenkreuz © Chris Zintzen @ panAm productions 2020














Kreuzgang Stift Heiligenkreuz, 30.07.2020

Dienstag, 28. Juli 2020

What do you see?





Glasfenster Hermesvilla Wien © Chris Zintzen @ panAm productions 202













Hermesvilla, Wien, 26.07.2020

Montag, 27. Juli 2020

Ἑρμῆς


Hermesfigur, Hermesvilla Wien © Chris Zintzen @ panAm productions 2020










Hermesvilla, Wien, 26.07.2020

Montag, 20. Juli 2020

- - OUT NOW: litblogs.net: Lesezeichen 01–02/2020 - -




Lesezeichen, Ausgabe 01–02/2020 vom 20. Juli 2020.



Traum © Rittiner & Gomez @ Isla Volante
Traum © Rittiner & Gomez @ Isla Volan

In dieser Ausgabe: ... Aneignungskunst, final –Darüber hinaus wird die konkrete Verfügbarkeit aller ABC-Kräfte, der Militärpolizei und des Sanitätspersonals festgestellt. –Hände, wie sie dicht über der Tastatur der Schreibmaschine schwebend auf Anweisung warteten. – Różewicz-Lieder –Die tatsächlichsten Tage liegen auf / dem Nachttisch; –Nach der Corona-Krise ist dann eben Wirtschaftskrise, punktum. – ein außer sich geratener Hofnarr, der die Reichen und Schönen mit ihrem eigenen Untergang zu unterhalten gedenkt – Traum und Alptraum um ein Gedicht –Edison’s Telephonoscope, lange vor Zoom –„Ein Mann braucht zwei Hosen“, sagte der Mitsubishi Boy, „und in einer muss Geld drin sein.“ – Freiheitsrechte und Corona –Im Sozialprodukt stecken der Stil, der Skiort und die Short. – abdrosten im Herdenflat – Wunder müssen nicht Köpfe schütteln.

INHALT:
1. Ende der Aneignungskunst 
von etkbooks 
in: taberna kritika

2. Coronavirus: Generalstab informiert 
von Chris Zintzen 
in: panAm productions

3. früh auf der straße 
von Andreas Louis Seyerlein 
in: particles

4. Barmbek 
von Mirko Bonné 
in: der goldene fisch

5. Social Distorsion 
von Hendrik Rost 
in: der goldene fisch

6. „Ankerlichten“ in Zeiten der Corona (IV) 
von Norbert W. Schlinkert 
in: Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen!

7. 14/20 – Air 
von Marianne Büttiker 
in: tempo fugato

8. Eine offene Wunde – Notizen zu dem Film JOKER 
von Guido Rohm 
in: Guido Rohms gestammelte Notizen

9. Kein Entrinnen 
von Rittiner & Gomez 
in: isla volante

10. Der Videochat als Utopie 
von Barbara Denscher 
in: Flaneurin

11. Der Mitsubishi Boy ist tot 
von Andreas Glumm 
in: Glumm

12. Corona-Post (Tag 51): BORIS P. (u.a.) hinter die Ohren geschrieben oder auf die Ohren gegeben 
von J. S. Piveckova 
in: Gleisbauarbeiten

13. Haarklemmen 
von Lisa Spalt 
in: Psittacos

14. Herdenflat 
von Phyllis Kiehl 
in: Tainted Talents



  •  Litblogs.net - Literarische und künstlerische Weblogs, 
  • hg. von Hartmut Abendschein, Markus Hediger und Chris Zintzen, Bern / Wien 2004-2020

Freitag, 17. Juli 2020

Ausstellung "Verdinglichung" | "Reification", MAG3 (Wien)

Ausstellung:
chris zintzen_gue schmidt_fritz fro 
VERDINGLICHUNG



__________________________________________________________

Je verdinglichter die Welt, je dichter das Netz, das der Natur übergeworfen wurde, desto mehr beansprucht ideologisch das Denken, das jenes Netz spinnt, seinerseits Natur, Urerfahrung zu sein.
Theodor W. Adorno: Wozu noch Philosophie?

Drei Positionen reflektieren die Entfremdung und Deformation, welche Natur (Chris Zintzen: Fotografie), Arbeit (Gue Schmidt: Installation) und Klang (Fritz Fro: Sound) unter kapitalistischen und neoliberalen Bedingungen erfahren. Zur Eröffnung spricht Walter Baier (transform! europe). 
__________________________________________________________

Eröffnung: Dienstag, 28. Juli 2020, 19 Uhr
Redner: Walter Baier (transform! europe)
Dauer: 28.07.-21.08.2020 
Zeiten: Di– Fr, 17–20 Uhr 

projektraum MAG3
A-1020 Wien, Schiffamtsgasse 17
Erreichbar über U2 Taborstrasse oder U4 Schottenring/Ausgang U2 Herminengasse 
Tel. 0676-34.09.218, Mail: mag3@mur.at 
https://bit.ly/Verdinglichung_Die-Ausstellung


P R E S S E T E X T

NATURES MORTES_chris zintzen
Tiere nach der Natur, inszeniert post mortem für ein prachtvolles Museum. Gruppiert und angeordnet nach dem Schema der biologischen Taxonomie (Stamm - Klasse - Ordnung - Familie - Gattung - Art) wird die ausgestellte Fauna zum Fak(e)simile des Lebens und zur stillgestellten Projektion. 
Die Inszenierung der mortifizierten Fauna exemplifiziert das „todbringende Verstehen“ (Tzvetan Todorov) des kolonisierenden wissenschaftlichen Blicks, welcher theatralisch Erkenntnisse als Beutestücke präsentiert. Die beforschten Lebewesen überleben diese Einverleibung in die Welt des Wissens nicht: Ihre verdinglichten Karkassen werden zu Stilleben (natures mortes) einer makabren Wahr-Scheinlichkeit von „Leben“. 
Die Serie von analogen S/W-Fotografien geht auf das Jahr 2002 zurück; das Material ist durch lange Lagerung korrodiert und zerkratzt, entstand zudem mit einer beschädigten Olympus OS2. Es bleibt das Perspektiv des beschädigten Lebens. Im Gegenbild und in seiner Fragilität wird „Leben“ offenbar. 

EIN SATZ LUKÀCS_gue schmidt
Die Installation von Schmidt auf der Basis eines Diktums von Georg Lukàcs zeigt den Diskurs als festgestellt und gleichzeitig als im Fluss befindlich: Text, dreidimensional inszeniert in drei Wannen, reflektiert die Aussage als Präparat, in ihrer linear diskursiven Gerichtetheit. Gezeigt, vor- und ausgestellt wird nicht mehr und nicht weniger als ein Satz, extrahiert aus einem Ganzen (Theorie des Romans), gleichzeitig aber auch ein komplexes Ganzes per se. Die materiale Inszenierung lädt dazu ein, Lukàcs Zitat zu begehen und zu besehen, sich körperlich und intellektuell mit seiner Wortgestalt und seinen möglichen Bedeutungen zu beschäftigen. Es ist eine beredt stille Versuchsanordnung, die erweist, dass kein Sagen und kein Satz zu einem Ende kommen kann. 

KLANG WELLE_fritz fro
Eine Klang-Welle schwingt im Raum – eine Welle die so lang(sam) schwingt als würde sie im Raum stehen und die es den BesucherInnen erlaubt, bei jedem Schritt den Klang auch anders wahrzunehmen.


E N G L I S H  T E X T

chris zintzen_gue schmidt_fritz fro 
REIFICATION

Opening Date: Tuesday, July 28 2020, 7 pm 
Opening remarks: Walter Baier (Transform! europe)
Duration: 28/07 – 21/08/2020
Opening Times: Tue–Fri, 5 pm–8 pm 

project space MAG3
A-1020 Vienna, Schiffamtsgasse 17 
Public transport: U2 Taborstrasse and/ or U4 Schottenring/ Exit U2 Herminengasse)
Phone: 0676-34.09.218, Email: mag3@mur.at
https://bit.ly/Verdinglichung_Die-Ausstellung

NATURES MORTES_chris zintzen
Animals ’according to nature’, staged post mortem for a splendid museum. Sorted and arranged in line with biological taxonomy, the exhibited fauna represents a fake-simile of life and an immobilized projection of nature.
The staging of the mortified fauna exemplifies the "deadly understanding" (Tzvetan Todorov) of the colonizing scientific gaze, which theatrically presents its findings as pieces of prey. The researched living beings do not survive this incorporation into the world of knowledge: their reified carcasses become still lifes (natures mortes) of a macabre probability.
The series of analogue B/W photographs was created in 2002. The pictures were taken with a damaged Olympus OS2, the material is corroded and scratched due to long storage. The perspective of the damaged life remains. The very fragility of life is revealed through its counter-image.

A LUKÀCS STATEMENT_gue schmidt
The installation by Schmidt on the basis of a dictum by Georg Lukàcs shows discourse as something established and at the same time fluid: text, staged three-dimensionally in three basins, reflects the statement as a specimen, in its linear, discursive directedness. What is shown, presented and exhibited is not more and not less than a statement, extracted from a whole (Theory of the Novel), but at the same time a complex whole per se. The material staging invites the viewers to inspect and to examine Lukàcs’s quotation, to engage themselves physically and intellectually with its word form and its possible meanings. It is an eloquently quiet experimental arrangement, which proves that no telling and no sentence can come to an end.

SOUND WAVE_fritz fro 
A sound wave vibrates in the space – a wave that vibrates as long as if it was standing in space and allows the visitor to perceive the sound differently with every step.




Chris Zintzen
Kulturwissenschafter, Schreiber und Bildautor, Verfasser mehrerer kulturwissenschaftlicher Monografien, Herausgeber von Büchern zu Literaturkritik,-betrieb und Netzliteratur, Autor für ORF und NZZ, Co-Herausgeber eines trinationalen Netzmagazins, Radiomacher, universitäre Lehrtätigkeit. Geb. 1966 in Deutschland, lebt & arbeitet nach Aufenthalten in den USA, der Schweiz und Deutschland in Wien. 
Ausstellungen:
Transmediale Ausstellung + Symposium zum Stadtraum Praterstern IFK Vienna/Radio Ö1/Diagonal (2002-2003); Gruppenausstellung "Beispiele Tropischer Kunst“ (Galerie Ruth Maier, 2003); transmediale Gruppenausstellung/Soziale Skulptur "Operation Figurini" (Kurator: Christian Steinbrenner, Karmelitermarkt/ Der Standard, Wien Mai/Juni 2003); Ausstellungsbeteiligung „Spiel- und Denkmaterial für eine Museumssammlung" (Kurator: Wolfgang Kos, WienMuseum, Mai 2003); Kurator und Gestalter "10 Jahre Literatur als Radiokunst" (Literaturhaus Wien/ORF Kunstradio, März/April 2009); Gruppenausstellung "visuell - virtuell - parallel: SchriftstellerInnen fotografieren" (FLUSS, Schloss Wolkersdorf & Galerie Wechselstrom Wien, Mai 2010); Lexikonartikel als Exponat in der Ausstellung "Gerhard Rühm. Radiophonic Spaces" (Kuratorin: Nathalie Singer; Wanderausstellung Bauhaus Universität Weimar | Haus der Kulturen der Welt, Berlin | Museum Tinguely, Basel, Oktober 2018- September 2019). 

Gue Schmidt 
Geboren, lebt und arbeitet. Verschiedene Stadien. Seit Beginn der 80er Jahre Arbeiten in den Bereichen visuell-akustischer Medien, im elektronischen Raum, Fotografie, Installation und Radiokunst, sowie Ausstellungsorganisationen und Performances inner- und außerhalb Europas.
Ausstellungen und Beteiligungen (Auswahl): REM/ Vienna/ Austria, Museum moderner Kunst – Sammlung Ludwig / Vienna/ Austria, “SIGGRAPH '92“ Art Show/ Chicago/ USA, Omrooepmuseum/ Hiversum/ Netherlands, Packaging Gallery/ Seoul/ Korea, Museo de Arte Religioso (Biblioteca Luis Angel Arango) Bogotá/ Colombia, Künstlerhaus Dortmund/ Germany, Museo de Arte CARRILLO GIL/ Mexico City/ Mexico, Museo del Chopo/ Mexico D.F./ Mexico, Varosi Müveszeti Muzeum/ Györ/ Hungary, t.p.s. [triangle.project.space]/ San Antonio/ Texas/ USA, lia (Laboratorio Interdisciplinario para las Artes) Bogotá/ Colombia, Ruse Art Gallery/ Ruse/ Bulgaria, Vebikus Kunsthalle Schaffhausen/ Switzerland, etc.

Fritz Fro
1957 in Wien geboren. Verschiedene Aus- und Einbildungen (Musikalischer und auch anderer Arten). Seit Mitte der 80er Jahre Arbeiten im Bereich Fotografie, akustischer Medien, im elektronischen Raum und Radiokunst, Performances inner- und außerhalb Europas. Mitorganisator bei HÖREN IST SEHEN.
Ausstellungsbeteiligungen: 1996-2008 HÖREN IST SEHEN - „Kunst im elektronischen Raum, am Beispiel von Radiokunst und Klangskulptur“: Medellín, Bogota/ COLOMBIA; Erfurt/ GERMANY; Caracas/ Venezuela; Istanbul/ TURKEY;  Mexico D.F., Queretaro, Xalapa, Acapulco/ MEXICO; Weimar, Berlin/ GERMANY, Schaffhausen/ SWITZERLAND; St.Pölten/ AUSTRIA; Toronto/ Canada; Györ/ HUNGARY, San Antonio/ Texas/ USA.
Performances u. Aktionen: 
1985 mit Strada Deformata, Jazzclub/ Mürzzuschlag, 1986 Alte Welt/ Linz, 1991 mit V. Schöny/ Elementar/ Breitenfurt, 1987-90 mit RBW21/ Galerie im Posthof/ Linz, Club Flieger/ Wien, Galerie REM/ Wien/ AUSTRIA, Künstlerhaus Dortmund/ GERMANY, 2000 mit V. Schöny/ Galerie Celeste/ Wien, 2004 mit V. Schöny, Kunstwoche Grafenschlag/ AUSTRIA, 2002 mit A. Buetikofer/ Tangent[e]/ Eschen/ LIECHTENSTEIN
, 2004 mit A. Buetikofer/ Giswil/ SCHWEIZ, 2006 Solo/ Kunst in der Natur/ Wachtberg/ AUSTRIA, 2011 Live electronics zu IN/ EN LA/ IM (v.Gue Schmidt)/ LIA (Laboratorio interdisciplinario para las Artes)/ Bogotá/ KOLUMBIEN.
Radioarbeiten: 
1989 (mit RBW21) A Quarter past ten, 1991 Die Welt bei Tag, 1992 The way of the Lemming, 1994 Über die Kunst, das Kapital und Karl Marx, 1997 ESPACIO 666, 1998 Übungsstunde, 2000 Kammerkonzert für 7 Wasserschüsseln und zwei Computer, 2002 K2R oder Syntagmatischer Diskurs über Randlage und Zentrum, 2003 Die Welt bei Tag (Wiederholung von 1991/ Zum Thema Krieg), 1992 Kopfhörer/ Kunstradio/ ORF-ö1/ AUSTRIA, 1992 Guerre/ RAI 1- Radio Arte Acustica/ Rimini/ ITALY, 1996 (RBW21) A Quarter past ten (Originalfassung)/ Emisora Cultural de la Universidad de Antioquia/ Medellín, Bogotanian salsa/ Radio Universidad Nacional/ Bogotá/ COLOMBIA.


P R E S S   P I C S



Chris Zintzen: Natures Mortes @ VERDINGLICHUN, MAG3, 2020


Chris Zintzen: Natures Mortes @ VERDINGLICHUN, MAG3, 2020


Gue Schmidt: Ein Satz Lukàcs @ VERDINGLICHUN, MAG3, 2020

Gue Schmidt: Ein Satz Lukàcs @ VERDINGLICHUN, MAG3, 2020

Freitag, 26. Juni 2020

brut: Hochbunker Floridsdorf

brut: Hochbunker Floridsdorf © Chris Zintzen @ panAm productions 2020

brut: Hochbunker Floridsdorf © Chris Zintzen @ panAm productions 2020


Eine Passantin weist auf die benachbarte Strafvollzugseinrichtung hin, bevor sie die Bunkerkatze füttert. Das Tier wohnt in einer Betonscharte des Bunkers. Schaufel und Besen sind neben den Futterschalen platziert. 

Tiere dürfen beim Besuch der Justizanstalt Mittersteig, Außenstelle Floridsdorf nicht mitgeführt werden. Die telefonische Anmeldung hat spätestens zwei Tage vor dem geplanten Besuch zu den Amtsstunden zu erfolgen (Name des Insassen, Name des Besuchers/der Besucherin, Besuchstag, Uhrzeit und Dauer).









Aufnahmen: 05.09.2018

Donnerstag, 25. Juni 2020

Zeit

Hauptbahnhof @ Chris Zintzen @ panAm productions 2020




































Auf die Frage, wann sie Zeit hätten, zählen manche Menschen zunächst 
langwierig auf, wann sie keine Zeit haben und oft auch, warum dies der Fall sei. 

Die Lust, die Zeit solcher Menschen in Anspruch zu nehmen, vergeht augenblicklich. 











25.06.2020
Aufnahme 31.08.2018

Mittwoch, 24. Juni 2020

Stadtsprache II


Mohn/Papaver | Stadtsprache © Chris Zintzen @ panAm productions 2020
































Täglich neu gilt es, die Sprache vom Wust des Jargons zu befreien. Klärungen sind vorzunehmen, Abscheidungen durchzuführen. 

Verdrehte Sprache zeugt nicht nur von verdrehtem Denken, sondern verursacht dieses geradezu. 

Zu beobachten ist die Zunahme von Passivfügungen, oft in Kombination mit substantiviertem Präsenspartizip: 
Folglich nimmt der Grad an "Verwalteter Welt" in den Köpfen zu. 






24.06.2020




Dienstag, 23. Juni 2020

Stadtsprache



Hare Vienna @ Chris Zintzen @ panAm productions 2020

Hare Vienna @ Chris Zintzen @ panAm productions 2020






























Der Stadt aus dem Wege zu gehen,
erweitert das Gegenleben bis
in den Raum der Sprache.

Suche und finde den Ort fern
der Schreihälse und Immerberedten. 
Jetzt. 





22.06.2020




Montag, 22. Juni 2020

Kritik



Matrix @ Chris Zintzen @ panAm productions 2020










































Indem wir nämlich zweifeln, gelangen wir zur Untersuchung
und durch diese erfassen wir die Wahrheit. (Petrus Abaelardus, Sic et non)






























Dienstag, 9. Juni 2020

Feldhase (Lepus europaeus)



Feldhase (Lepus europaeus) © Chris Zinrten @ panAm productions 2020
Feldhase (Lepus europaeus) © Chris Zinrten @ panAm productions 2020








Fasane, Rehe, Feldhasen: Alle da. Nur die Ziesel, von denen Hunderte Löcher zeugen, sind nicht zu sehen. 
Ein Schuss hallt über die Felder. Es is sechs Uhr früh. Die Christen feiern Pfingsten. 




Aufnahmen: 31.05.2020