Sonntag, 6. Juni 2021

das hündchen - Mit einer Zeichnung von Friederike Mayröcker




Friederike Mayröcker ist am 4. Juni verstorben. Wenige Menschen vermochten es ihr gleich zu tun in dem, was man "Begegnung" nennt. Eine Begegnung aus Ferne und Nähe zugleich, dicht und da und am Punkt des Moments und im Augenblick des Worts, dann wieder von einem Hauch erfasst und wieder entfernt, so zart, dass man nicht zu greifen und zu fassen oder nachfzufragen wagte. 

Ihre Stimme im Ohr, ihre Verse, deren Intonation in der Mitte, in Schwebe zu bleiben pflegten oder wie fragend und tastend nach oben auslauteten, als gelte es, noch weiter auszuholen, weitere Valenzen zu öffnen und jedenfalls: keinen Punkt zu machen. 

Ohne Punkt


Denn Poesie hat keinen Punkt, kan keinen Punkt haben, da sie als Künstlichstes dem Natürlichen nahekommt. Eine Seins-, Wahrnehmungs- und Schaffensweise, die ständig keimt und wächst und die, wie bei Friederike Mayröcker, sogar entlang von theoretischen und philosophischen Konzepten rankt und wuchert. Progressive Universalpoesie als Lebensmittel.  

Schließlich: Glaubwürdigkeit. Und das ist etwas besonders Rares. 

Arachne im Netz


Die Gewiißheit, dass Friederike an einem ganz bestimmten Ort dieser Stadt, in der Zentagasse im 5. Bezirk, lebt und arbeitet und als nimmermüde Arachne an ihrem poetischen Weltnetz spinnt, hat mich über Jahrzehnte als Gewissheit um die Realität der Poesie begleitet. Man konnte diese Weltwerkstatt per Telefon oder sogar mit dem Fahrrad ebenso erreichen wie man sich von dieser Weltwerkstatt immer wieder und immer weiter erreichen lassen kann, indem man eines ihrer Bücher aufschlägt, ihre Tonaufnahmen hört oder Angelika Kaufmanns Verschriftungen betrachtet.

In welchem Maß die Literatur eine Heimat darstellt, so tief und so weit wie die Kindheitslandschaften, wird uns erst bewusst, wenn uns ihre Schöpfer leiblich verlassen. "In einer Landschaft wie dieser" (Lars Gustafsson) wollen wir bleiben und uns dort beherbergen lassen. 

Landschaft wie diese


Einem Verharren dort nachzusehnen, hieße allerdings, im Modus der Regression und in der Vergangenheit gefangen zu bleiben. Der Tod lieber Menschen beauftragt uns mit der unmittelbaren Gegenwart, fern der Sentimentalität. 

Wenn nicht jetzt der Zeitpunkt ist, die Poesie bewusst wachzuhalten und atmen zu lassen: Wann dann?

__________
Friederike Mayröcker: das hündchen (Zeichnung für Chris Zintzen 2009)

Zeichnung: Friederike Mayröcker, 2009 (für meinen Hund)

2009 zeichnete Friederike Mayröcker meinen Hund und es entspannen sich Unterhaltungen und eine kleine Korrespondenz zum Thema. Aus dem Material wurde 2012 ein Gedicht: "das hündchen".

Erstdruck: Schwerpunktheft “Friederike Mayröcker” der Literaturzeichrift MATRIX 28/2012, hg. von Theo Breuer, Pop-Verlag, Ludwigsburg.


das hündchen


// für Friederike Mayröcker //



es sei, so sie, ein erstaunen gewesen,
es sei, als hätten wir's gewusst,
es sei ein hin- und hergeworfner ball, ein bild gewesen:
     zwischen ihr und ihm
sei die idee des hündchens, mit dem sie über hügel stiebe,
sei schieres bild geblieben;
sei beiden leibhaft unvereinbar erschienen
     mit der täglichen fährtenlese des zu schreibenden.
und als er dann jäh fort gewesen,
und wir weder worte des nachrufs noch des trostes gekonnt,
und wir das figürchen genommen – blau geäderte weisse keramik (delft gedacht) – 
und es ein kauernd aufmerkendes hündchen gewesen
und dies ihr statt der worte als ein zeichen geschickt.
und so war das hündchen, wie sie dann schrieb, aus dem simplen ding
und wieder ein lächelndes thema geworden
und sie inbegriffen wie auch ihn erinnernd,
und sie uns (das echte haarichte tier und mich) grosszügig eingelassen
     in jenes motiv via stetig erneuerter briefe und skizzen.

wien, 13.03.2012












Mittwoch, 2. Juni 2021

Hörtipp: "Zukunft einer Vision" in DIAGONAL, 05.06.2021

Update: ➾Direktlink zum Beitrag



Diagonal Stellt Vor - Das Magazin zum Monatsanfang

Will Eisner & Graphic Novels ++ Krüger, Pardeller & die Seestadt ++ Wiener Neustädter Kanal Suite ++ Filmfestivals nach Corona ++ Dokfilm "Colectiv" ++ Diagonals feiner Musiksalon: black midi - "Cavalcade"

Das Buch als Kunst: "Zukunft einer Vision": Diagonal, Ö1, 05.06.2021, 17:05 Uhr








Das Buch als Kunst: "Zukunft einer Vision"


In der Diagonal-Reihe "Das Buch als Kunst" geht es diesmal um die Seestadt Aspern, ein Stadtentwicklungsprojekt für 20.000 Menschen im Nordosten von Wien, das bis dato etwa zur Hälfte fertig gebaut ist. Der Bevölkerung, des neuen, vermeintlich geschichtslosen Stadtviertels, wollen das Künstlerinnenduo Krüger & Pardeller und der Kulturwissenschaftler Chris Zintzen einen Bezug zur Geschichte des Standorts vermitteln: Mit einem skulpturalen Kunstwerk, das auf die Vergangenheit als Flughafen verweist und mit der gleichnamigen Publikation "Zukunft einer Vision", einer kulturwissenschaftlichen Aufarbeitung des Geländes und seiner Entwicklung im 20. Jahrhundert.
Gestaltung: Anna Soucek                                                                          

Krüger & Pardeller/Chris Zintzen (Hg.): Zukunft einer Vision.
Aspekte zu Kunst im öffentlichen Raum, Urbanistik, Lebenswelt und Geschichte der Seestadt auf dem Areal des Flugfelds Aspern. Wien: Schlebrügge.Editor 2020.

Krüger & Pardeller/Chris Zintzen (Hg.): Zukunft einer Vision. Aspekte zu Kunst im öffentlichen Raum, Urbanistik, Lebenswelt und Geschichte der Seestadt auf dem Areal des Flugfelds Aspern. Wien: Schlebrügge.Editor 2020.


















Donnerstag, 29. April 2021

Zwischen Kieseln

 

Bachstelze © Chris Zintzen @ panAm productions 2021















Bachstelze: weiss-schwarz,

federt zwischen Kieseln

schnellt flusswärts: Dschiwid.










Radtraining, 21.04.2021

 

Montag, 19. April 2021



Welle Emblem © Chris Zintzen @ panAm productions 2021
















Elster, Wiedehopf,

jäh kraust die Bö das Wasser.

Feldhase blickt auf. 








Haiku, Radtraining, 19.04.2021






Montag, 12. April 2021

Conference: Alptraum(a). Alps, Summits and Borderlands in German-speaking Culture



Date:

14 April 2021, 2.00pm - 16 April 2021, 6.00pm

Institute:

Institute of Modern Languages Research, School of Advanced Study, University of London

Type:

Conference / Symposium

Venue:

Online





Update


The conference proceedings will be published by de Gruyter in 2022 in the series "Interdisciplinary German Cultural Studies". The video recordings of the papers can be accessed via the IBC podcast page or via youTube

Description

Feared and revered, the Alps have long held captive the European cultural imagination. From the classical period to the modern day, the Alps have served as inspiration for individuals working across a broad range of media. Seen on the one hand by policy makers as marginal, in cultural and biological terms they are highly diverse. Often cast as a boundary between northern and southern Europe, the Alps have facilitated intercultural and transnational exchange for centuries. Whilst the great alpine passes have allowed for the transfer of troops, pilgrims and traders since ancient times, modern feats of engineering allow for fast transportation under the mountains themselves. Ease of access comes at a heavy price: whilst respect for biological diversity motivates one mode of engaging with the Alps, the availability of exploitable natural resources motivates another. As a result, the Alps stand at the acute end of global warming. Though they have been long seen as the home of crisp air and clear waters, shrinking glaciers and receding forests testify to the mountains’ susceptibility to the escalating climate crisis.

In cultural terms the Alps act as a foil for broader debates that are defined by a tension between the beautiful and the dangerous, and between light and dark. This can be traced through cultural productions across genre and media. As Uwe Hentschel (2002) outlines, the mountains were the fundamental contributing factor to the Alps being cast as Arcadia by travellers in the 18th and 19th centuries, an image undermined by the harsh realities of life and high levels of poverty that travellers witnessed. The poetry and paintings of the Romantics depict a sublime landscape, but one that threatens those who occupy it. Likewise, whilst Heimat- and Bergfilme celebrate the mountains in a way that recalls the writing of Johanna Spyri, their volatile nature makes life there highly fragile. In more recent works this tension intensifies: the dark undercurrents of European history explode in Alpine settings, exposing the interplay of topics including: historical antisemitism and the Holocaust; man-made and natural catastrophe; and human fragility and resilience.

Whilst studies edited by Beniston, Hughes and Vilain (2011) and Barkhoff and Heffernan (2010) have examined the role of the Alps in generating national identity and mythology in Austria and Switzerland respectively, this conference proposes a transnational and transdisciplinary consideration of alpine and peripheral space. 


Programme [PDF]


Participation is open to all and is free of charge. Advance registration is essential. 

Conference organisers: Richard McClelland (Bristol) and Andrea Capovilla (IMLR, London)

This conference is sponsored by the Ingeborg Bachmann Centre for Austrian Literature & Culture at the IMLR, and the Austrian Cultural Forum, London


➾ Home








Freitag, 2. April 2021

Count the countless (Koan Cards 05)

 

Count the countless (Kōan Cards 05) © Chris Zintzen @ panAm productions 2021


Count the countless (Kōan Cards 05) © Chris Zintzen @ panAm productions 2021


Count the countless (Kōan Cards 05) © Chris Zintzen @ panAm productions 2021




How many hairs do you have on your head?

How long is your hair?

The ocean is full of water, there are many clouds in the sky. On the mountain there are numberless trees, and on one head there are many hairs. so form is emptiness and emptiness is form. 





Kōan Cards 05
#5/365
02.04.2021

Mittwoch, 27. Januar 2021

392.430 km | der Mond heute






 








Aufnahme: 27.01.2021; Mond 96,5 %, 392.430 km Distanz








À contre-jour


 

Ente im Gegenlicht © Chris Zintzen @ panAm productions 2021

 




















Aufnahme: 22.01.2021, Donau 










Montag, 25. Januar 2021

Das litblogs-"Lesezeichen" ist erschienen!

Lesezeichen, Ausgabe 04/2020 vom 25. Januar 2021.



 

In dieser Ausgabe:

talmudesque is a paper size manipulation series  Gefälscht und doch original  – Das mit dem Wasser und dessen Lassen – Wie eine Taube nebst Hosenbeinen ins Bild rückt – Mein lieber Herr Gesang, – Preis sucht Autor – Order is a question of perspective –Ein halbwegs aufmerksames Aha. Soso. Jaja. Naja. Ochjo zu Corona – Damenhüte als Barrieren zwischen Kunst und Betrachter – elementare Darbietungen Neuer Musik – sprachlicher Gang in die Mathematik – uvam. … 

INHALT:


  •  Litblogs.net – Literarische und künstlerische Weblogs, hg. von Hartmut Abendschein, Markus Hediger und Chris Zintzen, Bern / Wien 2004-2021

Ausfahrt

 


Ruderer auf der Donau, Nussdorf © Chris Zintzen @ panAm productions 2021












Aufnahme: 22.01.2021, Donau bei Nussdorf (im Hintergrund Otto Wagners Schleusengebäude beim Nussdorfer Wehr)

Sonntag, 24. Januar 2021

Ereignis

 

Ereignis (Ruderer und Schwäne, Donau) © Chris Zintzen @ panAm productions 2021

Ereignis (Ruderer und Schwäne, Donau) © Chris Zintzen @ panAm productions 2021

Ereignis (Ruderer und Schwäne, Donau) © Chris Zintzen @ panAm productions 2021

Ereignis (Ruderer und Schwäne, Donau) © Chris Zintzen @ panAm productions 2021















Aufnahme: 22.01.2021, Donau bei Langenzersdorf








Samstag, 23. Januar 2021

Gelassenheit / Serenity

 


Serenity © Chris Zintzen @ panAm productions 2021




















Aufnahme: 22.01.2021, Donau bei Langenzersdorf








Donnerstag, 21. Januar 2021

Deich







 
















Wo Nord- und Ostsee unerreichbar sind, 

erstreckt sich das Reich der Deichgrafen

entlang der Donau. 

Böhmen liegt wirklich am Meer. 








Aufnahme: Schönau, Nationalpark Donauauen, 20.01.2021





Mittwoch, 20. Januar 2021

Watt-Wanderung an der Donau



























Aufnahmen: Schönau, Nationalpark Donauauen, 20.01.2021

Freitag, 15. Januar 2021

Kormoran, ein Tausendstel

 

Kormoran im Flug © Chris Zintzen @ panAm productions 2021



Was bedeutet das Tausendstel einer Sekunde? 

Und was vollzieht sich in diesem Zeitraum? 

Wie viele Gedanken passen in einen solchen Moment?


Die Geschwindigkeit des Kormorans lässt den Augenblick eines menschlichen Wimpernschlags souverän hinter sich.






Aufnahme: 13.01.2021, Klosterneuburg



Mittwoch, 13. Januar 2021

Möwen und Schreiben und Zweifeln

 

Möwen, Donau 2021-01-11 © Chris Zintzen @ panAm productions 2021

Möwen, Donau 2021-01-11 © Chris Zintzen @ panAm productions 2021



"Möwen als Mittler zwischen Wasser und Land und Luft."

Dies wäre unsere hehre und sehr menschliche Interpretation. Und dies wäre die Suggestion, die die westliche Poesie nahelegen würde, denn es klingt gut und "schön" und spricht davon, wie unsere Fantasie das Sosein durch Überschüsse koloriert. 

Was bleibt indes, wenn wir die kulturell übernommene Theatermaschinerie stillstellen und uns ganz auf diesen Moment der realen Wahrnehmung konzentrieren, ganz ohne Intention und ohne Zuschaltung von ästhetischen und konzeptuellen Effekten?

Es bleiben die Möwen und es bleibt die Faszination durch die Grazie und Schönheit ihres Flugs. Dies zu sagen, erscheint banal, tautologisch und nachgerade unoriginell. Ein Verstoß gegen die Regeln der musischen Welt. 

Was aber gewinnt eine Kunst, die ungeprüft überkommene Konzepte wiederholt, die auf bekannte Effekte zurückgreift und die das Sosein à la manière de x oder y illustriert?


Sehen schließt das Fragen mit ein 

wie Sprechen das Überwinden des Zweifels. 






Aufnahme: 11.01.2021, Donau (Wien, Albern)


Dienstag, 12. Januar 2021

Graugänse

 


Wildgänse, Wien 2021 © Chris Zintzen @ panAm productions 2021



Die Graugänse sind wieder da! - Mit Möwen, Enten und Kormoranen bilden sie an den sonnigen Ufern östlich der Stadt eine lärmende, höchst lebendige Vogelkolonie: Putzen, palavern und rangeln. Man ist unter sich. 









Aufnahme: 11.01.2021












Mittwoch, 2. Dezember 2020

Form, 03

 







Ordnung ist eine Frage der Perspektive und besteht nur hinsichtlich eines bestimmten Bezugssystems. 

Order is a question of perspective and only exists with regard to a certain frame of reference.










Dienstag, 1. Dezember 2020

Form, 02

 








Geschlossenheit und Offenheit versöhnen. Reconciling unity and openness.























Montag, 30. November 2020

Form, 01

 

Form 1 © Chris Zintzen @ panAm productions 2020








Ruhe in der Formfindung. Calm in finding the form.




















Mittwoch, 11. November 2020

Ilse Aichinger: Nachruf (Martin)

 





Gib mir den Mantel, Martin,
aber geh erst vom Sattel
und lass dein Schwert, wo es ist,
gib mir den ganzen.

Ilse Aichinger , Nachruf



Aichinger decouvriert die von oben herab erteilte "milde Gabe" als Bestätigung und Festigung der ökonomischen und strukturellen Machtverhältnisse. Mit seinem jähen Perspektivwechsel zwingt uns dieses Gedicht, mit den Augen des Empfangenden zu sehen und "Mitmenschlichkeit" auf gleicher Ebene einzufordern.

Die Phrase des "auf Augenhöhe Kommunizierens" erscheint mit Aichingers Forderung, Mitleid müsse vom hohen Ross herabsteigen, in neuem Licht. Es geht um Hingabe, statt um Gabe. Es geht um Unmittelbarkeit ohne Kalkül. Es geht darum, auch den vermeintlich Schwachen als Unsresgleichen zu respektieren.

Dies ist nicht nur wider die Kultur der Betroffenheit und wider das Gutmenschentum, sondern auch wider die Spende als Steuervorteil und wider das "Gutsein" als Sprungbrett zum (persönlichen) Paradies.

Wir neigen dazu, uns in unserem Gutsein zu gefallen. Als Buchhalter unserer selbst rechnen wir uns unsere "milden Gaben" selbst am höchsten an. Dies zu erkennen, braucht nicht mehr als die Lektüre von vier Zeilen großer Literatur.





kleine form 1 quadrat - © Chris Zintzen @ panAm productions 2020


















Montag, 19. Oktober 2020

Eben erschienen: Litblogs.net Lesezeichen, Ausgabe 03/2020

Lesezeichen, Ausgabe 03/2020 vom 19. Oktober  2020.



   

In dieser Ausgabe:  Etwas ist ANDERS – Unvollendetes in Bäumen – Archäologie der „Fake News“ – BFBS und wilde Zeiten – So ein Dreck! – Götter und Insekten – Happy End, das besondere Papier – Ein Lied im Bild – Lesezeichen im schwarzen See – PKW-Pirouetten – Lungen- und andere Bäume – Ryôtas Glühwürmchen – maps for pataphysical inspections – uvam. … 

INHALT:

  •  Litblogs.net – Literarische und künstlerische Weblogs, hg. von Hartmut Abendschein, Markus Hediger und Chris Zintzen, Bern / Wien 2004-2020