Prousts "Wiedergefundene Zeit" erschließt das Wesen der Erinnerung vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs und der rapide anachronistisch werdenden Welt des Adels. Schützengräben versus Salons, krude Homoerotik vor dem Hintergrund genealogischen Geplänkels im Zirkel aristokratischer Jours. -
Baron de Charlus, der das Gigolo-Freudenhaus bei Luftalarm verlässt, um in den Schächten der Métro Tuchfühlung mit der panischen Menge aufzunehmen; ein gespenstischer Ball im Hause der Guermantes: Hier blickt einer in den Spiegel der Gesellschaft und findet vor allem: sich selbst. Und daraus folgend: den Entschluss zu (s)einem Buch.
Wir lesen hier einen Proust, der radikaler ist und grausamer als derjenige, der als Bildungsgut herumgereicht wird. Und: Wir lesen hier einen komischen, respektlosen, nüchternen, grausamen und widersprüchlichen Proust.
Speziell aber lesen wir, wie einer - im letzten Band des Werks die Voraussetzungen des Werks thematisierend - buchstäblich "zum Werk kommt". Voraussetzung dafür ist das jähe Auf- und Einleuchten einer Poetik, welche eine derartige literarische "Thick Description" (C. Geertz) von Gesellschaft und Zeit unter dem Vorwand der Erinnerung ermöglicht.
Proust als Ethnologe in der U-Bahn, lange vor Marc Augé.
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